Steuerungskonzepte

In der Praxis werden verschiedene Konzepte zur Steuerung der Produktionsvorgänge in Fließproduktionssystemen eingesetzt. Diese folgen einem allgemeinen Prinzip, das man als Pull-Prinzip bezeichnet. In diesem Fall werden alle Produktionsvorgänge direkt oder indirekt durch einen eingetroffenen Auftrag eines Kunden, d.h. erst bei Bedarf ausgelöst (Just-in-Time-Produktion). Ein wesentliches Kennzeichen des Pull-Prinzips besteht darin, daß die Produktionssteuerung nicht mehr - wie beim Push-Prinzip - für jede Produktionsstufe eine detaillierte Arbeitsanweisung bereitstellt, sondern daß ein Produktionsplan nur für die letzte Produktionsstufe, z.B. die Endmontage aufgestellt wird. Wird ein Vorprodukt benötigt, das in der Endmontagestufe verarbeitet werden soll, dann wird die entsprechende Menge aus dem Lager des Vorprodukts (vor der Endmontage) entnommen.

Die Produktionsstelle, die das Vorprodukt herstellt, entdeckt die entstandene Lücke im Lagerbestand und füllt diese Lücke möglichst unverzüglich wieder auf (Supermarktprinzip). Dabei verbraucht sie wiederum eine bestimmte Menge ihres Vorprodukts, die sie von ihrem vorgelagerten Lagerbestand entnimmt. Dieser Prozeß setzt sich in Richtung auf das Rohmateriallager fort. Jede Produktionsstelle entnimmt die benötigten Vorprodukte aus den vorgelagerten Beständen, wie in einem Supermarkt. Die vorgelagerten Produktionsstellen müssen dann die Bestände wieder auffüllen, indem sie produzieren.

Es entstehen vermaschte selbststeuernde Regelkreise, die eine Dezentralisierung der Bestandskontrolle und damit die Übertragung der kurzfristigen Produktionssteuerung an die ausführenden Mitarbeiter ermöglichen. Grundlegende Idee eines Pull- Systems ist es, daß jede Stelle immer nur so viele Einheiten eines Erzeugnisses herstellt, wie tatsächlich von den nachfolgenden (verbrauchenden) Stellen benötigt werden (Produktion auf Abruf). Methodisch handelt es sich um eine Aneinanderreihung von $(s,q)$-Lagerhaltungspolitiken mit einer sehr kleinen Losgröße. Dabei werden die Bedarfsinformationen Produktionsstufe für Produktionsstufe entgegen dem Materialfluß weitergegeben.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Pull-Prinzips ist ein möglichst kontinuierlicher Materialfluß, bei dem die Werkstücke sich ähnlich wie bei der getakteten Fließproduktion möglichst ohne Wartezeiten durch die Produktionsstellen bewegen. Dies setzt voraus, daß die Umrüstung einer Produktionsstelle von einem Produkt zum anderen nur eine vernachlässigbar kurze Rüstzeit verbraucht. In der Praxis ist diese Bedingung oft nicht erfüllt. Trotzdem setzen viele Unternehmen das Pull-Prinzip ein, da man glaubt, man könne dadurch auf komplexe Planungsverfahren verzichten.

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Literatur

Günther, H.-O. und Tempelmeier, H. (2020). Supply Chain Analytics - Operations Management und Logistik. 13. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.