ELSP: Klassisches Losgrößen- und Reihenfolgemodell

Bei einstufiger Sortenproduktion werden mehrere Produkte nacheinander auf einer Produktionsanlage produziert. Beispiele: Pressen in der Automobilindustrie, Abfüllanlagen in der Lebensmittelindustrie oder Produktion von Farben oder auch Shampoos. Oft kann der zu deckende Bedarf als im Zeitablauf  kontinuierlich und konstant angesehen werden. Da die Produktionsanforderungen der einzelnen Produkte (z.B. die Rüstzeiten und die Stückbearbeitungszeiten) unterschiedlich sind, muß die Produktionsanlage bei einem Produktwechsel für die Produktion des nächsten Produkts umgerüstet werden. Dies kostet normalerweise Rüstzeit und verursacht oft auch Rüstkosten, z.B. Kosten für Reinigungsmaterial etc. Da die Kapazität der Produktionsanlage beschränkt ist - sie kann i.d.R. immer nur eine Produktart produzieren - kann nicht beliebig oft (also nachfragesynchron) umgerüstet werden. Es stellt sich also eine Losgrößenproblem.

Die Aufgabe der Losgrößenplanung ist es bekanntlich, festzulegen, wie viele Mengeneinheiten eines Produkts auf einmal, d.h. mit einem Rüstvorgang, produziert werden sollen und an welchen Zeitpunkten dies geschehen soll. Dieses Problem wird seit mehr als 100 Jahren in der Literatur diskutiert. Die Fragestellung wurde von Ford W. Harris bereits im Jahre 1913 formuliert: "How many parts to make at once" (Factory, The Magazine of Management, Volume 10, Number 2, February 1913, pp. 135–136, 152).

 In der ursprünglichen Modellierung des sog. klassischen Losgrößenproblems wird von einer konstanten und kontinuierlich auftretenden Nachfrage(-rate) ausgegangen. Dies führt zu dem bekannten Sägezahn-ähnlichen Verlauf des Lagerbestands, der die Grundlage für die Berechnung der Lagerkosten bildet.

Setzt man nun - was ja plausibel erscheint - für jedes der auf der Produktionsanlage herzustellenden Produkte $k$  $(k=1,2,...,K)$ das klassische Losgrößenmodell ein, dann erhält man produktspezifische Losgrößen und optimale Produktionszyklen $t_k$ mit den entsprechenden Produktionszeiträumen $t_{pk}$, in denen die Produktionsanlage durch die einzelnen Produkte belegt wird. Da die isolierten Produktionszyklen zunächst unabhängig voneinander bestimmt werden, wird diese Vorgehensweise zu einem Produktionsplan führen, bei dem es zu Überschneidungen der Produktionsaufträge auf der Produktionsanlage kommt. Die Anwendung der klassischen Losgrößenformel ergibt also einen nicht zulässigen Produktionsplan. Versucht man dennoch, diesen Produktionsplan in der Praxis umzusetzen, dann wird man beobachten, daß man wegen der knappen Kapazität die Produktionstermine verschieben muß, weil der Lagerbestand eines Produkts vor seinem geplanten Produktionszeitpunkt bereits erschöpft ist. Kann man den Lagerbestand aber nicht rechtzeitig wieder auffüllen, dann kommt es zu ungeplanten Fehlmengen. Der Hauptgrund für dieses Problem liegt darin, daß zu häufig gerüstet wird und daß dadurch zuviel produktiv nutzbare Produktionskapazität verschwendet wird.   

Um eine zulässige Lösung zu erreichen, muß man auch die Produktionsreihenfolge der Lose berücksichtigen. Hier besteht eine Schnittstelle zwischen Losgrößenplanung und Reihenfolgeplanung. Gegebenenfalls muß man von der optimalen klassischen Losgröße für ein Produkt abweichen, um einen Produktionsplan zu erzeugen, der unter Berücksichtigung der bestehenden Interdependenzen zwischen  allen Produkten (Konkurrenz um die knappe Produktionskapazität) zulässig ist. Dieser Produktionsplan ist zwar mit höheren Kosten verbunden, aber er ist wenigstens machbar bzw. zulässig.

Das Economic Lot Scheduling Problem (ELSP) ist ein Optimierungsmodell, das die Belegung einer Ressource durch mehrere Produkte, d.h. die Produktionsreihenfolge, bei der Losgrößenplanung für die Produkte mit in die Betrachung einbezieht. Beim ELSP werden die Losgrößen also simultan mit den Bearbeitungsreihenfolgen bestimmt. Allerdings ist zu beachten, daß es sich um ein stationäres Losgrößenmodell mit einer kontinuierlichen Zeitachse handelt.

Die einfachste Form des ELSP verbindet die produktspezifischen Produktionsmengen durch die Annahme, daß die Produktionszyklen aller Produkte gleich lang sind (common-cycle policy; gemeinsamer Produktionszyklus). Wenn man diesen Produktionszyklus kennt, dann kann man für jedes Produkt die Losgröße durch Multiplikation des Produktionszyklus mit der Nachfragerate  berechnen und in die Produkte in beliebiger Reihenfolge nacheinder produzieren. Man muß nur noch die Länge des gemeinsamen Produktionszyklus bestimmen.

Das ELSP-Modell basiert auf folgenden Annahmen:

  • mehrere Produkte $k$

  • stationäre Nachfragemengen $d_k$

  • endliche Produktionsgeschwindigkeiten $p_k$

  • Rüstzeit des Produkt $k$ kann berücksichtigt werden: $\tau_k$

  • Rüstkostensatz für Produkt $k$: $s_k$

  • Lagerkostensatz für Produkt $k$: $h_k$

  • eine Maschine, die zu jedem Zeitpunkt nur durch ein Produkt belegt sein darf

  • für alle Produkte wird derselbe gemeinsame Produktionszyklus verwendet (common cycle)

Es handelt sich weitgehend um die Annahmen des klassischen Losgrößenmodells mit dem Unterschied, daß nun mehrere Produkte gemeinsam betrachtet werden. Die Kapazität der Produktionsanlage wird implizit dadurch berücksichtigt, daß zu jedem beliebigen Zeitpunkt immer nur ein Produkt produziert werden darf.

Das Problem der Zulässigkeit:

Wir betrachten einen Zeitraum von $T$ Perioden. Die gesamte Produktionszeit für Produkt $k$ in diesem Zeitraum ist gleich der Gesamtnachfrage in diesem Zeitraum dividiert durch die Produktionsrate:

$\frac{{T \cdot d_k }}{{p_k }}$

Wird für das Produkt $k$ ein Produktionszyklus von $T_k$ Perioden verwendet, dann ist die Anzahl der Rüstvorgänge des Produkts $k$ im Zeitraum der Länge $T$ gleich

$\frac{T }{T_k }$

Die gesamte Rüstzeit für Produkt $k$ im Zeitraum $T$ ist damit

$\frac{T }{T_k }\cdot \tau_k$

Daraus folgt für die produktspezifischen Produktionszyklen:

$\displaystyle{ \sum_{k = 1}^K {\big( {\tau _k \cdot \frac{T}{{T_k }} + \frac{{d_k }}{{p_k }} \cdot T} \big)} \leq T }$

oder

$\displaystyle{\sum_{k = 1}^K {\left( {\frac{{\tau _k }}{{T_k }} + \frac{{d_k }}{{p_k }}} \right)} \leq 1}$

Diese Bedingung ist zwar notwendig, damit eine zulässige Lösung ermittelt werden kann. Sie
ist aber nicht hinreichend. Der Grund: die Bedingung beschreibt nur die durchschnittliche Belastung, nicht die Belastung zu jedem beliebigen Zeitpunkt.

Betrachten wir ein Beispiel mit zwei Produkten:

Produkt 1 Produkt 2  
$T_1=1$ $T_2= 2$ Produktionszyklus
$\tau_1= \frac{1}{4}$ $\tau_2= \frac{1}{4}$ Rüstzeit
$\frac{d_1}{p_1}= \frac{1}{4}$ $\frac{d_2}{p_2}= \frac{1}{3}$  

Einsetzen in die obige Zulässigkeitsbedingung ergibt:

$ \left( {\frac{{\frac{1}{4}}}{1} + \frac{1}{4}} \right) + \left( {\frac{{\frac{1}{4}}}{2} + \frac{1}{3}} \right) = \frac{{23}}{{24}} $

Mit diesen Daten ist die obige Restriktion erfüllt, da $\frac{23}{24} < 1$ ist. Plant man nun Produkt 1 immer zu Beginn eines Zyklus $T$ ein, dann wird jeweils die halbe Zykluslänge, $\frac{T}{2}$, durch Produkt 1 belegt. Da die Produktion von Produkt 2 für das Rüsten und das Produzieren des Bedarfs von $2 \cdot T$ Perioden aber $(\frac{1}{4}+2\cdot \frac{1}{3})=\frac{11}{12} \cdot T$ benötigt, kommt es zu Problemen, weil $T$ nicht ausreicht. Die Proportionalisierung der Rüstzeit $\tau_2$, d.h. ihre Verteilung auf zwei ($T_2$) Perioden reduziert die durchschnittliche Belastung auf einen Wert unter 1. Tatsächlich muß aber die ganze Rüstzeit für Produkt 2 bereits im ersten Zyklus aufgebracht werden. Das führt zu dem Problem der Zulässigkeit. Das Problem wird also dadurch verursacht, daß die Zulässigkeitsbedingung sich auf einen durchschnittlichen Zyklus bezieht.

Ein Lösungsansatz:
Das Economic Lot Scheduling Modell mit einem gemeinsamen Produktionszyklus

Um die beschriebenen Überschneidungen bzw. Unzulässigkeiten zu vermeiden, muß man noch weitere Bedingungen formulieren, mit denen man die Zulässigkeit in jedem Zyklus erzwingt. Es gibt verschiedene Ansätze zur Lösung dieses Problems.

Die einfachste Form der Vermeidung von Überschneidungen besteht darin, daß man einen für alle Produkte einheitlichen gemeinsamen Produktionszyklus $T$ (common cycle) festlegt und die Losgrößen der einzelnen Produkte durch die Multiplikation des Produktionszyklus mit der produktspezifischen Bedarfsgeschwindigkeit $D_k$ errechnet.

Wir setzen also

$T_k=T \qquad {k=1,2,...,K}$

Die Zielfunktion dieses Problems lautet

$\displaystyle{\mathrm{Minimiere} \,\,Z = \sum_{k = 1}^K {} \left[ {\frac{{s_k }}{T} + \frac{{T \cdot d_k }}{2} \cdot h_k \cdot \left( {1 - \rho _k } \right)} \right]}$

Leitet man diese Zielfunktion nach $T$ ab und setzt man die erste Ableitung gleich Null, dann erhält man:

$T_{opt} = \left(\frac{{2 \cdot \displaystyle{\sum_{k = 1}^K {s_k } }}}{{\displaystyle{\sum_{k = 1}^K }{h_k \cdot d_k \cdot \left( {1 - \rho _k } \right)} }}\right)^\frac12$

Da jedes Produkt genau einmal pro Zyklus $T$ produziert wird, kann die Losgröße wie folgt bestimmt werden:

$q_k = T_{opt} \cdot d_k \qquad {k=1,2,...,K}$

Aus der Zulässigkeitsbedingung für den gemeinsamen Produktionszyklus aller Produkte ergibt sich dann wegen $T_k = T$:

$\displaystyle{\sum_{k = 1}^K }{\left( {\tau _k + \frac{d_k }{p_k }\cdot T } \right)} \leq T$

D.h., in dem (durchschnittlichen) Produktionszyklus muß Zeit für sämtliche Rüstvorgänge und sämtliche Produktionsvorgänge vorhanden sein. Bei zu kleinen Losen geht u.U. soviel produktiv nutzbare Zeit für Rüstvorgänge verloren, daß der Zyklus $T$ nicht ausreicht, um alle Lose zu produzieren.

Aus

$\displaystyle{\sum_{k = 1}^K \tau _k + \sum_{k = 1}^K \frac{d_k }{p_k }\cdot T \leq T }$

erhält man dann folgende Bedingung für die Zulässigkeit des Produktionszyklus:

$\frac{{ \displaystyle{\sum_{k = 1}^K} {\tau _k } }}{{1 - \displaystyle{\sum_{k = 1}^K} {\rho _k } }} \leq T $

Diese Beziehung beschreibt eine untere Schranke für die Länge des gemeinsamen Produktionszyklus. In einem Produktionszyklus, der kürzer als diese untere Schranke ist, bleibt nicht genug Zeit, um sowohl für alle Produkte zu rüsten als auch zu produzieren.

Die minimalen Kosten des Modells mit gemeinsamem Zyklus für alle Produkte sind eine obere Schranke des optimalen Zielfunktionswertes. Die Summe der minimalen Kosten der isoliert errechneten optimalen Losgrößen bildet eine untere Schranke des optimalen Zielfunktionswertes.

Siehe auch ...

Literatur

Tempelmeier, H. (2020), Production Analytics. 6. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.
Günther, H.-O. und Tempelmeier, H. (2020). Supply Chain Analytics - Operations Management und Logistik. 13. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.